Donnerstag, 11. März 2010

Das geheimnisvolle Männlein

Gestern als ich nach Hause ging, geschah etwas Unglaubliches. Es war schon am Eindunkeln und die vielen Strassenlaternen gingen an. Ausser einer. Und gerade bei der stand ein kleines Holzhaus – das Kleinste, das ich je gesehen habe. Und dieses war voll von warmen Licht. Die Wärme des Lichtes umhüllte das ganze Haus und verlieh im einen geheimnisvollen Glanz.
Neugierig schlich ich langsam näher. Was es wohl auf sich hat mit diesem Strahlen? Und wieso scheint ausgerechnet diese Strassenlaterne nicht? Das werde ich jetzt herausfinden. Ich musste mich ein wenig bücken um durchs Fensterchen zu schauen. Da war nichts Aussergewöhnliches zu sehen! Ein kleiner Holztisch mit Wurmlöchern übersäht, ein paar Stühle, ein Schränklein, nichts Besonderes. Ich wollte schon wieder gehen, da fiel mir auf, dass da eine Türe in ein Nebenzimmer führte. Diese war einen Spalt offen und daraus schimmerte doch genau dieses sonderbar warme Licht hervor.
Kurzentschlossen öffnete ich das Fensterlein und zwängte mich hindurch. Beim Hineinkraxeln stiegen mir wunderbar wohlriechende Düfte in die Nase. So musste es bei Aladin gewesen sein: Rosenblüten, erfrischende Orangenblätter, beruhigende Lavendelöle, ein Hauch von wildem Jasmin – wie in einem fremden Land, das weit weit weg in weiter weiter Ferne liegt. Noch ganz benommen vom Angenehm dieser Düfte, tappte ich vorsichtig zum leuchtenden Hell des Türspaltes. Ich konnte nichts erkennen, es blendete und der Spalt war zu klein.
Beim behutsamen Öffnen der Türe quietschte und knarrte sie leise vor sich hin. Ich nahm dies nicht einmal richtig wahr, ich war schon so darauf ausgerichtet, zu erfahren, was es war, das da so leuchtete und wärmte, so schimmerte und glänzte. Jetzt haben sich meine Augen an die Helle des Lichtes gewöhnt. Sonderbar, das ganze Zimmerchen war eingekleidet mit Regalen, die bis zur Decke reichten. Und in diesen vielen Regalen standen unzählige Gefässe in allen Grössen und Formen aus denen es nur so leuchtete und strahlte. Erst jetzt bemerkte ich in der einen Ecke eine kleine gebückte Gestalt, gehüllt in einen grünen dunklen Mantel. Just in dem Augenblick drehte sie sich um und unsere Blicke trafen voll aufeinander. Überraschung, Schreck – Abhauen? Stehenbleiben? Einen Moment lang flackerte es in all diesen Gläsern. Der Moment des Ungewissen dauerte an, zwei, drei Züge gespannten Atems. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen. Dann ein Lächeln auf dem Gesicht des alten Männleins, ein Funkeln in seinen Stecknadel-Äuglein, ein Zupfen an seinem Bärtlein. Das Licht in den Gläsern beruhigte sich, eine einladende Geste, doch einzutreten und näher zu kommen.
Jetzt wäre die letzte Gelegenheit rechtsum kehrt zu machen und abzuhauen. Doch das Zimmer mit all diesen Lichtgläsern und das sonderbare Männlein strahlten eine tiefe wärmende Geborgenheit aus. Zögernd nähere ich mich. Das Männlein lächelte mir aufmunternd zu. Mit hoher Stimme flüsterte es: „Ich habe gewusst, dass du kommst, aber du bist früh, sehr früh. Ich hätte dich erst in 27 Wintern erwartet.“ Was er damit wohl meinte? Der verwechselte mich sicher mit jemandem. Es fuhr fort: „Ich komme aus einem Volk aus einer längst vergangenen Zeit. Dieses lebte hier lange lange bevor es die ersten Menschen gab. Unsere Aufgabe war es, für ein ausgewogenes Verhältnis von Licht und Dunkelheit zu sorgen. In den Anfängen unserer Zeit hatten wir nicht viel zu tun. Das meiste regulierte sich von selbst.“ Ich verstand nicht genau, worauf er hinauswollte, doch in meinem tiefsten Innern wusste ich haargenau was er mir sagen wollte, Wort für Wort. „Doch in jüngster Zeit, ist vieles aus dem Gleichgewicht geraten. „In den Strassen, in den Häusern überall siehst du Licht, überall – Licht im Überfluss. Doch in den Herzen vieler herrscht Dunkelheit. Kriege werden ausgebrütet, Macht und Gier sind längst schon normale Begleiter geworden.“ Das Männchen mustere mich aufmerksam, ob ich ihm bis dahin folgen konnte.
Scheinbar war es zufrieden: „Unsere Aufgabe hat sich gewandelt, es ist unumgänglich, dass wir wieder Licht in die Herzen der Menschheit bringen.“ Ich schaute ihn fragend an. “Wie das möglich ist? Sei du das, was du den Anderen wünschst. Bist du unter Traurigen, sei fröhlich, dann steckst du sie an, bist du unter Geizigen sei spendabel, bist du unter Ängstlichen sei mutig, bist du unter Gestressten bleibe ruhig. Sei das, was du den Anderen wünschst. So bist du ihnen einen wirklich wertvollen Dienst. Es ist nicht schwer, du brauchst es bloss zu tun.“ Und mit diesen Worten verschwand das Männchen im Nichts und mit ihm das ganze Häuschen mit all seinen Gefässen gefüllt mit warmen Leuchten.
Der ganze Spuk war vorüber, hatte ich geträumt? War das alles ein Hirngespinnst? Verwirrt und mitgenommen drehte ich mich um und stolperte beinahe über das Glasgefäss. Also war es doch echt, es war real, keine durchgedrehte Phantasie. Ich bückte mich und hob behutsam das Gefäss auf, angenehme Wärme durchfloss meinen ganzen Körper von oben bis unten. Ein verstehendes Lächeln strahlte über mein Gesicht. Erfüllt von Wärme und Verständnis wandte ich mich um zum Gehen. Ein paar Schritte weiter schaute ich nochmals zurück. Nichts Aussergewöhnliches zu entdecken, alles wie es schon immer war und sein musste. Aber da! Die erloschene Strassenlaterne brannte wieder, wie wenn nichts gewesen wäre! Doch bei genauerem Hinschauen, fiel mir auf, dass ihr Licht anders war als das ihrer Nachbarn, erfüllter, wärmer, strahlender, lächelnder.

Pascal Koller

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