
Der Herzling
Es war einmal eine kleine Maus, die hiess Till.
Till wohnte mit Mama Maus, Papa Maus und seiner Schwester Fahri in einer grossen, unterirdischen Höhle im Haselwald.
An einem wunderschönen Frühlingsmorgen, als die ersten Sonnenstrahlen seine kleine Stubsnase kitzelten, wachte Till mit einem merkwürdigen Gefühl auf. Er streckte sich noch ein paarmal auf seinem Strohnest, gähnte herzhaft, bewegte jeden einzelnen Zeh und sprang dann mit einem Satz auf die noch sehr kalte Erde. “Brrrrrr!“ Damit er nicht ganz so kalte Pfötchen bekam, holte er seine Grassöckchen aus dem Wurzelkasten, zog sie einen nach dem andern über und trippelte mit noch ganz verschlafenem Blick in die Küche. „ Mama?“ Till sah sich um aber Mama war nirgends zu sehen. Dann ein wenig lauter. „Mama?!“ Als er immer noch keine Antwort bekam, holte er ganz ganz tief Luft und rief so laut er konnte:
„ Maaaaaamaaaaaa!!!“ „Ich bin ja hier Till, was schreist du denn so?“ Mama Maus trat aus der Tür zur Vorratskammer, im Arm eine Handvoll Haselnüsse. „Till mein Süsser, du weckst die ganze Höhle mit deinem Geschrei! Und Papa und deine Schwester schlafen noch!“ Sie versuchte ein wenig streng zu schauen, was ihr aber mit ihren Knopfaugen nicht sehr gut gelang. Till blickte ein wenig betreten drein und seine Barthaare zuckten verlegen. „Mama, ich hatte einen Traum!“ Mama Maus schaute ihn verwundert an und lächelte dann milde. „Aber Till, das ist doch gar nicht möglich, wir Mäuse träumen doch schon lange nicht mehr! Das hast du dir doch bloss ausgedacht um mich zu ärgern.“ Till schüttelte entschieden den Kopf und meinte: „Nein Mama, ich schwör`s, ich hatte einen Traum! Letzte Nacht, in meinem Nest, als ich geschlafen habe! Und heute morgen war er immer noch da!“ Nun war es Mama Maus die ein wenig betreten dreinschaute. „Und du bist sicher, dass du dir nicht wieder eine deiner Geschichten ausgedacht hast?“ „Ja Mama, gaaaaaaanz sicher! Ich kann dir sogar erzählen was ich geträumt habe; es war ein ganz geheimnisvoller Traum!“ Till trippelte nervös von einem Pfötchen auf das andere und seine Barthaare zuckten im Takt mit. Er wollte doch endlich seinen Traum erzählen! Mama Maus seufzte einmal tief, schaute ihn mit schräggelegtem Kopf prüfend an und meinte dann: „Na gut mein Kleiner, wenn du es ernst meinst... . Falls du wirklich geträumt hast und es keiner deiner Scherze ist, dann ist das eine ernste Sache. Du weisst, dass es seit über siebenhundert Jahren keine Maus mehr gab, die geträumt hat! Und du weisst auch, dass dein Vater schrecklich wütend wird, wenn du uns auf diese Weise auf den Arm nehmen willst!“ Sie hielt einen Moment inne, seufzte noch einmal tief und sagte dann in einem weniger strengen Ton: „Also gut, lass mich nur erst die Haselnüsse einlegen, dann wecke ich Papa und Fahri. Danach kannst du uns deinen Traum erzählen.“ Tills Augen leuchteten vor Freude. „Ich werde bis dahin hier warten und den Traum festhalten, sonst fliegt er mir plötzlich noch davon!“ Mama Maus lächelte versöhnlich. „Ja, tu das Till, das ist eine gute Idee.“
Nach Tills Empfinden dauerte es eine Ewigkeit, bis Mama Maus endlich fertig war und Papa Maus und Fahri geweckt hatte.
Nun sassen sie aber endlich alle zusammen in der Küche, bei einer Nusschale Regenwasser. Papa Maus hatte einen ernsten Gesichtsausdruck und Fahri kaute nervös auf einem ihrer Barthaare. Da räusperte sich Papa Maus: „Nun mein Junge, Mama hat mir erzählt du hättest einen Traum gehabt, stimmt das? “ Till schluckte einmal, holte tief Luft und sagte: „Ja Papa, ich habe wirklich geträumt und konnte den Traum sogar festhalten. Ich habe ihn hier eingeschlossen, damit er nicht davonfliegen kann.“ Dabei tippte er sich stolz auf die Brust. Papa Maus nickte bedächtig und schien zu überlegen. Da meldete sich Fahri zu Wort: „Na dann erzähl uns doch endlich deinen Traum du kleiner Stinker! Du erzählst ja sowieso bloss Quatsch!“ „Lass das Fahri!“ Mama Maus warf ihr einen warnenden Blick zu. Und zu Papa Maus gewandt: „Ich denke er sollte uns seinen Traum erzählen, wer weiss, vielleicht steckt wirklich etwas dahinter...“ Papa Maus nickte. „ Ja, ich denke auch, dass es besser ist wenn du ihn uns erzählst Till, wer weiss...“ Fahri hatte nun schon mehrere Barthaare im Mund und nuschelte: „Na gut Till dann mach schon...“ Mama Maus warf Till einen aufmunternden Blick zu und nickte. Till rieb sich die letzten Körnchen Schlaf aus den Augen, strich sich zweimal durch die Barthaare, holte tief Luft und begann:
„ Es war ein wunderschöner Frühlingsmorgen. Die Vögel zogen ihre ersten Kreise und die Blumen leuchteten fast wie verzaubert. Es roch nach Moos und frischem Bärlauch. Viele kleine Raupen tummelten sich auf den frischen, grünen Blättern und ein sanfter , warmer Wind strich durch mein Fell. Es war einfach wunderschön, irgendwie geheimnisvoll. Ich streifte durch das Unterholz und fühlte mich von einer Kraft und Freude angetrieben, wie ich sie noch nie vorher gefühlt hatte. Ich ging immer weiter durch diesen duftenden, fast strahlenden Wald, bis ich an eine Lichtung mit einem kleinen See kam.“ Till legte eine kurze Verschnaufpause ein. Aber Fahri drängte: „Weiter Till! Erzähl weiter!“ Auch Mama und Papa Maus nickten zustimmend. Also räusperte sich Till und fuhr fort: „Diese Lichtung war ganz in goldenes Licht getaucht, und der See glitzerte in allen Farben. Ich musste mir ein Pfötchen vor die Augen halten, weil es so blendete. Als sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, ging ich langsam näher ans Ufer. Es war gesäumt mit riesigen Blumen in allen Farben und Formen. Als ich ganz nahe am Wasser war, geschah etwas sehr Merkwürdiges. In der Mitte des Sees bildeten sich ganz viele kleine Blasen und eine ganz grosse. Ich habe mich fürchterlich erschreckt und bin hinter einen Busch gesprungen. Nach kurzer Zeit war ich aber so neugierig, dass ich trotzdem ein bisschen hervorgeschaut habe...“ Till kratzte sich am rechten Ohr und schaute in die Runde. „Naja...“ fuhr er ein wenig zögerlicher weiter. „Die grosse Blase in der Mitte hatte sich zu einer Kugel geformt und darin war ein riiiiiiiiiiiesen grosser Schmetterling, ganz aus Herzen, mit vielen schillernden Punkten und Flügeln so gross wie unsere Höhle! Ich musste mich in den Schwanz beissen, damit ich wusste, dass ich richtig sah! Dann öffnete sich die Kugel und der Schmetterling flog heraus und geradewegs auf mich zu. Ich gebe zu, dass mir vor Angst die Barthaare zitterten. Der Schmetterling landete ganz sanft und geräuschlos direkt vor mir und berührte mich mit einem seiner Herzflügel. Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl, denn plötzlich hatte ich gar keine Angst mehr, sondern fühlte mich stark und ganz ruhig. Dann, ganz plötzlich, fing er an zu reden - nein, reden ist das falsche Wort - ich glaube er dachte, aber ich habe alles ganz deutlich verstanden. „Till...“ sagte (oder dachte) er. „...ich wusste, dass du kommst um mich zu finden. Es ist gut so.“ Ich war ein wenig verwirrt und fragte ihn: „Warum kennst du meinen Namen und wieso bin ich gekommen um dich zu finden? Wer bist du?“ Der Schmetterling antwortete: „Ich kenne die Namen aller Wesen, weil es mich nur in den Träumen gibt. Ich bin der Herzling und erscheine den Wesen, die den Weg zu ihrem Herzen suchen. Ich bin der Wächter der Herzen derer, die noch träumen können. Du Till, suchst den Weg zu dir selbst, zu deinem Herzen, deshalb hast du mich gefunden. Und nun, sieh hin und sag mir was du siehst.“ Dann drehte sich der Herzling um, und auf seinem Rücken sah ich etwas Grosses, Rundes, das glänzte und die Sonnenstrahlen reflektierte . Sehr langsam und vorsichtig ging ich näher. Als ich ganz davor stand, sah ich in dieses runde Ding. „Was siehst du?“ fragte mich der Herzling. Ich konnte aber gar nichts sehen und sagte ihm das auch. Nun fragte er: „Wer bist du?“ Ich antwortete: „Ich bin Till, eine kleine Maus aus dem Haselwald.“ „Wer sagt dir das?“ fragte der Herzling weiter. Ich sagte: „Niemand, dass weiss ich einfach.“ „Woher weisst du es?“ „Ich kann es fühlen.“ sagte ich. „Und wo fühlst du es?“ Fragte er noch weiter. Ich musste ein wenig überlegen und antwortete dann aber: „Ich...ich glaube...im Herzen... .“ Ein leichtes Flattern ging durch die Flügel des Herzlings. „Und jetzt schau noch einmal ganz genau hin, was siehst du, Till?“ Ich schaute noch einmal genau hin und erschrak. Ich konnte fast nicht glauben, was ich da sah.: Zwei Knopfaugen, zwei runde Ohren und eine Stubsnase mit vielen kleinen Barthaaren. Und es schaute mich an. „Wer ist das?!“ rief ich erstaunt. Der Herzling fragte: „Was siehst du denn, Till?“ „Eine...eine Maus...glaub ich...eine Maus, die mich anschaut und immer das Selbe tut wie...wie ich.“ „Und wer ist diese Maus, die dich da anschaut?“ Plötzlich kam mir ein verrückter Gedanke und ein merkwürdiges, freudiges Gefühl breitete sich in mir aus. „Ist... bin... bin..., kann das..., ist..., bin das etwa... bin das etwa... ich?!“ Ich fühlte mich ganz schwindlig. Der Herzling lachte ein heiseres Lachen. „Ja Till, das bist du. Wie fühlt es sich an, sich selbst zu begegnen?“ Ich starrte immer noch auf mich und sagte dann: „Ich... ich denke es fühlt sich gut an. Es ist merkwürdig aber irgendwie schön.“ Der Herzling lachte und drehte sich dann wieder zu mir um, so dass ich mich nicht mehr anschauen konnte. „Schade, dass ich mich jetzt nicht mehr sehen kann... .“ Sagte ich, denn ich war ein wenig enttäuscht. Aber der Herzling meinte: „Das brauchst du nicht. Von diesem Moment an wirst du immer wissen wer du bist und wie du aussiehst, denn du hast in dein eigenes Herz geschaut.“ Damit erhob er sich in die Luft, flog geradewegs in die Mitte des Sees hinein und war verschwunden. Und dann bin ich aufgewacht.“
Till lehnte sich zurück und betrachtete seine Eltern und seine Schwester. Alle drei hatten sie ein verzaubertes Lächeln auf dem Gesicht. Da räusperte sich Mama Maus: „Das... das war das Schönste, was ich jemals gehört habe Till, ein wirklich, ... , wirklich wunderschöner Traum! Und ich bin dir sehr dankbar, dass du ihn uns erzählt hast. Ich denke es war ein sehr bedeutsamer Traum, und ich glaube, er wird alle anderen Mäuse genauso berühren wie mich.“ Auch Papa Maus merkte jetzt, dass er die ganze Zeit wie ein Irrer gelächelt hatte und meldete sich ein wenig verlegen und in ernsterem Ton: „Ja Till, ein wirklich fantastischer Traum, den du da hattest! Ich denke, wir werden heute ein grosses Fest feiern und alle Mäuse aus dem Haselwald dazu einladen. Es wird ein ganz besonderes Fest, denn:
Die Mäuse träumen wieder!

By Ana`i

Foto: mad max - Pixelio.de
Wie schön, eine Schwester zu haben die eine so zauberhafte Geschichte erzählen kann.
AntwortenLöschenFür dich, hier und jetzt, einen meiner schönsten
HOFKNICKSE. :-)
Liebe Oppi, ich danke Dir für das liebe Kompliment und knickse zurück :0).
AntwortenLöschenWünsche Dir einen schönen Wochenstart!
Herzlich
Ana`i